Köln
   14 Jahre
Foto: Die Grünen / CDU

Landtagswahl NRW, Teil II: Bündnis 90 / Die Grünen & CDU

Sie wuchsen beide im Kreis Herford auf, der eine in Vlotho, der andere in Bünde, sie trennen knappe zwei Lebensjahre, und nach den Wahlen vom 9. Mai werden sie sich im Düsseldorfer Landtag noch häufiger begegnen – unter Umständen vielleicht gar koalieren.

Arndt Klocke, seit Februar 2006 Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, steht auf dem sicheren Listenplatz 6 und kandidiert direkt im Wahlkreis Köln-Nippes/Ehrenfeld. Der CDU-Kommunalpolitiker Chris Bollenbach jagte 2005 völlig überraschend der SPD-Konkurrentin den Wahlkreis Herford II ab und ist dieses Jahr zusätzlich auf Listenplatz 20 gut abgesichert. Torsten Bless brachte sie zu einem Gespräch zusammen.

Wie hat es den Schwulen aus Vlotho zu den Grünen verschlagen, den anderen aus Bünde in die CDU?

Arndt Klocke: Ich bin in den Achtzigern zu den Grünen gekommen. Meine Großeltern hatten damals noch einen kleinen Bauernhof. Als 15-Jähriger habe ich Tschernobyl erlebt, Umweltthemen wie Waldsterben und Meeresverschmutzung standen auf der Tagesordnung, mich hat beschäftigt, dass man so nicht weiterleben kann, sich anders fortbewegen, ernähren muss. Damals wie heute gab es in Vlotho einen kleinen Naturkost- und Biobuchladen, da hat man seine Schulhefte gekauft, der war in den ersten Jahren auch die erste Zentrale der Grünen. Bei meinem Coming-out mit 20 habe ich gemerkt, dass die Grünen auch die Partei sind, die sich für Bürgerrechte für Schwule und Lesben einsetzt. Damals ging es darum, dass der §175 endlich abgeschafft wird.

Chris Bollenbach: Bei mir war das etwas anders, ich bin Ende der Achtziger über ein kommunalpolitisches Thema zur CDU gekommen. Meine damalige Realschule wollte damals einen Ganztagsbetrieb anbieten, heute würde man „Über-Mittag-Betreuung“ sagen. CDU und FDP unterlagen aber der rot-grünen Mehrheit im Rat der Stadt Bünde. So engagierte ich mich für meine Schule in der Jungen Union und blieb dabei. Mit 17, 18 hätte ich noch nicht sagen können, dass ich schwul bin. Unsere Familie besitzt einen kleinen Handwerksbetrieb, in dem ich noch immer mitarbeite. Vor Jahren dachte ich, mein Vater könnte damit nicht umgehen, dem war aber gar nicht so. Richtig offensiv geoutet habe ich mich erst, als ich 2005 für den Landtag kandidiert habe. Da gab es ein paar Menschen in meiner Partei, die meinten, sie müssten irgendetwas hinter meinem Rücken erzählen, und denen habe ich gesagt, wenn ihr etwas über mein Privatleben wissen wollt, dann fragt mich selbst.

Zu Ihrer Verpartnerung am 22. April 2006 haben Sie in der CDU-Fraktion einen kleinen Sektumtrunk gegeben, wie war die Reaktion Ihrer Kollegen?

Bollenbach: Ich hatte eigentlich gedacht, alle Kollegen wüssten, dass die Hochzeit nicht mit einer Frau, sondern mit einem Mann stattfand und habe mich – wie sich das gehört – für das Geschenk der Fraktion auch im Namen meines Mannes bedankt. In dem Moment sind dann doch bei dem einen oder anderen die Gesichtszüge etwas entglitten, wie mir Kollegen später berichteten. Doch ich hatte nie irgendwelche Probleme, alle, auch die Fraktionsführung und der Ministerpräsident, haben sich immer sehr korrekt verhalten.

Und doch will sich Ihre Partei auf eine Gleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaften im Versorgungs- und Besoldungsrecht nicht festlegen...

Bollenbach: Ich bin davon persönlich betroffen, mein Mann ist Finanzbeamter, so hätte ich persönliche Vorteile, wenn es den Familienzuschlag für eingetragene Lebenspartner von Beamten gäbe. Ich glaube, das muss angeglichen werden, und ich meine, wir hätten das auch schon in der letzten Legislaturperiode tun müssen, als wir Teile des Dienstrechtes geändert haben. Die große Dienstrechtsänderung soll nun in der nächsten Legislaturperiode passieren. Wenn ich mir angucke, welche Bundesländer das mittlerweile umgesetzt haben, unter anderem auch das schwarz-gelb regierte Hessen, dann kann Nordrhein-Westfalen da nicht zurückstehen.

Klocke: Da sehe ich genauso, und da setze ich auch auf andere Mehrheiten im nächsten Landtag. Nordrhein-Westfalen als großes Bundesland muss eine Schrittmacherfunktion einnehmen und über eigene Bundesratsinitiativen für die steuerrechtliche Gleichstellung im Bundesrecht aktiv werden.

Stichwort andere Mehrheiten: "Schwarz-Gelb passt nicht zu Nordrhein-Westfalen", steht im Wahlprogramm der Grünen. Warum nicht, Herr Klocke?

Klocke: In der Zeit mit grüner Regierungsbeteiligung haben wir im schwul-lesbischen Bereich ganz wichtige Impulse gesetzt. So gab es etwa die Akzeptanzkampagne der Landesregierung und aktive Initiativen in Richtung Schulaufklärung. Schwarz-Gelb hat nicht alles zurückgenommen, was von Rot-Grün seit 1995 auf den Weg gebracht worden ist, aber man hat keine neuen Projekte gestartet, und bei den schon Existierenden ist gekürzt worden. Das Land ist moderner, bunter, vielfältiger und im Selbsthilfebereich auch viel engagierter, als es in der Politik der Landesregierung zum Ausdruck kommt.

Bollenbach: Wir haben zu Beginn der Legislaturperiode in diesem Bereich gekürzt, aber nicht nur dort, wir haben in vielen Bereichen Umschichtungen im Haushalt vorgenommen. Das war kein Affront gegen die schwul-lesbische Arbeit. Es st richtig, dass wir in den letzten fünf Jahren darauf keinen besonderen Schwerpunkt gelegt haben. Doch wenn man sich betrachtet, wo die CDU noch vor zehn oder 15 Jahren stand, haben wir uns schon enorm weiterentwickelt. Gerade bei diesem Thema braucht unsere Partei ein wenig länger als vielleicht andere.

Die Grünen sind für die Aufnahme des Merkmals der sexuellen Orientierung in den Antidiskriminierungspassus von Landesverfassung und Grundgesetz, die CDU ist dagegen. Wie begründet sich Ihre jeweilige Position?

Bollenbach: Ich glaube, man kann nicht jede Ungerechtigkeit, die es gibt, mit dem Grundgesetz oder der Landesverfassung aus der Welt schaffen. Selbst wenn heute ein Diskriminierungsverbot in der Verfassung stünde, gäbe es in der Praxis kaum einen Unterschied, ich würde sagen, gar keinen. Das ist ein Prozess, der in den Köpfen passieren muss, selbst wenn es im Gesetzestext steht, ändert sich in den Köpfen erst einmal gar nichts.

Klocke: Das sehe ich nicht so. Wenn die sexuelle Orientierung im Grundrechtekatalog von Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes festgeschrieben ist, kann man gegen Herren wie etwa den Essener Bischof Overbeck, der vor kurzem bei "Anne Will" Homosexualität als Sünde bezeichnet hat, noch einmal ganz anders argumentieren. Im letzten Jahr hat es ja die Bundesratsinitiative der Länder Berlin und Bremen auf Erweiterung des Artikel 3 gegeben, der unter anderem Hamburg und das Saarland beigetreten sind, also CDU-regierte Länder, wo die Grünen mit in der Koalition sitzen. Wenn Religion, Ethnie, Behinderung, etc. im Artikel 3 stehen, gehört da auch die sexuelle Orientierung rein. Das ist EU-Standard.

Studien und Medienberichte künden von einer verstärkten Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit an den Schulen, wie wollen Sie dagegen vorgehen?

Klocke: Es gibt eine zunehmende Homophobie im Land, gerade unter jungen Leuten, vor allem unter jungen Migranten. So ein Projekt wie SchLAu (Schwul-Lesbische Aufklärung, die Red.) NRW finde ich sehr wichtig! Das ist natürlich finanziell und personell unterausgestattet, um überhaupt ansatzweise flächendeckend arbeiten zu können. Eine Aufklärung über die Vielfalt von Lebensformen ist in den nächsten Jahren das A und O.

Bollenbach: Ich teile das. Ich habe SchLAu NRW zu Beginn meiner Zeit im Landtag kennengelernt und halte das Projekt für ausgesprochen gut. Es ist eine Supersache, dass man für diese Arbeit einen freien Träger mit ins Boot holt. Ich teile auch die Auffassung, dass wir über alle Lebensformen aufklären müssen. "Schwul" wird immer noch als Schimpfwort benutzt, auch im ländlichen Raum, dagegen gilt es aufzuklären.

Stichwort Aids-Prävention: Die CDU will den Standard beibehalten, die Grünen fordern dagegen weitere Anstrengungen...

Bollenbach: Vor wenigen Wochen hatten wir im Landtag die Feierstunde zum 25-jährigen Bestehen der Aids-Hilfe NRW, hier sprach auch unser Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Der hatte sicherlich zu Beginn seiner Amtszeit ein Problem mit dem Thema, hat sich aber sehr weit entwickelt. Jetzt gibt es durchaus einen Schulterschluss zwischen Selbsthilfe und Ministerium. Natürlich teile ich die Auffassung, dass zu wenig Mittel zur Verfügung stehen und noch mehr gemacht werden müsste. Aber wir müssen auch die gesamte Haushaltslage sehen und eine gewisse Prioritätensetzung vornehmen. Dennoch denke ich, dass wir uns gerade im Bereich der Aids-Hilfe nicht verstecken müssen.

Klocke: Aids ist zum Glück nicht mehr die todbringende Seuche wie vor 25 Jahren, wird immer mehr zu einer chronischen, behandelbaren Krankheit. Die Arbeit der Initiativen umfasst ja mittlerweile ein Spektrum, das über Aids hinausgeht, ich denke an die Kampagne "Pudelwohl" des Schwulen Netzwerks NRW, die Arbeit vom Checkpoint in Köln oder des Gesundheitsladens in Dortmund, an die HIV-Schnelltestprojekte im Lande. Die Aufgabe von Politik in den nächsten Jahren ist es aus meiner Sicht, gemeinsam mit der Community vernünftige Projekte zur Gesundheitsprävention für Schwule, Lesben und Bisexuelle zu entwickeln. Bislang sehe ich nicht, dass das von der schwarz-gelben Landesregierung ernst genommen wird.

Bollenbach: Da gibt es sicherlich noch einiges aufzuholen. Aber mit der Unterstützung des Info- und Beratungsmobils der Aids-Hilfe NRW haben wir den ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht. Wir müssen schauen, wo sich Schwule und Lesben heute aufhalten, es gibt nicht mehr nur die Kneipe oder Disco, durch das Internet hat sich vieles verschoben.

Wenn man Sie so hört, könnte man meinen, Schwarz-Grün könnte in NRW gar nicht so schlecht funktionieren. Warum kämpfen Sie dann für andere Konstellationen?

Klocke: In großen Teilen der Schul- und Bildungspolitik, etwa bei der Frage eines längeren gemeinsamen Lernens und der Schulstruktur, liegen CDU und Grüne diametral auseinander. Wir Grünen setzen auf Rot-Grün, und die CDU setzt auf Schwarz-Gelb. Über eine Zusammenarbeit mit der CDU reden wir nur, wenn es für eine Mehrheit mit der SPD nicht reicht und ansonsten eine Große Koalition droht. Das Einzige, was wir ausschließen, ist Jamaika (also ein Bündnis aus CDU, FDP und Grünen, die Red.).

Bollenbach:Wir haben über fünf Jahre eine erfolgreiche Koalition mit der FDP gemacht, übrigens auch eine sehr ruhige. Wenn man sich die Jahre davor betrachtet, gab es eigentlich jede Woche Koalitionskrach zwischen Rot und Grün. Nicht nur in der Schul-, auch in der Umweltpolitik vertreten CDU und Grüne völlig andere Auffassungen. Wenn das Wahlergebnis die Wunschkoalition nicht möglich macht, wird man mit den Parteien, die aus unserer Sicht aus dem demokratischen Spektrum kommen, sprechen müssen. Dazu gehören die Grünen und die SPD, mit den Linken werden wir nicht reden.

Hinweis
seit Montag auf inqueery.de: SPD
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