Gesellschaft
   10 Jahre
Fotos: Schwules Netzwerk NRW

Kommentar: Widerspruch tut Not!

Gut gemeint ist es sicherlich, wenn das Schwule Netzwerk NRW den Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung aus Darmstadt, im Rahmen des Kölner CSD am 5. Juli 2014 mit der Kompassnadel ehren will. Das Schwule Netzwerk möchte eine liberale Stimme aus einer Kirche loben, die anderswo Schwule verteufelt. Schließlich setze sich Jung seit zehn Jahren für die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ein, die eine „neue Form des verantwortungsvollen Zusammenlebens“ darstellten. Die warmen Fürbitten des Pfarrers für Regenbogen-Familien sind für das Schwule Netzwerk NRW ein großer Fortschritt.

Wie schön, doch es gibt da ein Problem. Die liebevoll salbaderten Formulierungen des Kirchenpräsidenten entpuppen sich bei näherer Betrachtung als moralinsaure Gegenrede zur freien Gesellschaft. Die Reduzierung auf dauerhafte Zweierbeziehungsmodelle eröffnet politisch eine offene Flanke für Angriffe des Hater-Blocks, der sich über Ländergrenzen hinweg aus homofeindlichen Links- und Rechtsfaschisten, konservativen Machos, durchgeknallten Familienschützern und religiösen Extremisten rekrutiert. Diese Front der Fortschritts-Verlierer will Unzucht bestraft wissen und stellt Aufklärung auf eine Stufe mit Missbrauch. Der Skandal ist: Der Kirchenpräsident steckt mittendrin in diesem Sumpf, aus dem er sich herauszustrampeln versucht. In Afrika hetzen die evangelischen Genossen im Glauben in schrillen Tönen gegen homosexuelle Unzucht. Protestanten befürworten dort und anderswo die staatliche Verfolgung von Homo- und Bisexuellen. Einem Jung wird das nicht gefallen, aber um sich klar von Homohassern aus den eignen Reihen zu distanzieren, bedarf es mehr als warmer Worte. Seine Organisation ist Mittäter und macht sich mitschuldig. Und das Schwule Netzwerk hilft mit beim Händewaschen.

Ist angesichts der fragwürdigen Ehrung auf unsere schwulen Funktionäre überhaupt noch Verlass? Es ist zu bezweifeln, dass mit der Kirche ernsthaft eine emanzipatorische Politik zu machen ist und die Kirche Engagement zeigt, das nicht auf Moral und Glauben fußt, sondern auf Eigenverantwortung, Toleranz und Solidarität. Dafür sind nach wie vor zivile Kräfte notwendig, die sich nicht anbiedern, sondern wehren. Die Kirche mag vieles sein, aber sie ist kein liberaler Bündnispartner. Denn ihr theologischer Überbau verbietet Liberalität von selbst. Was ein verantwortungsvolles Zusammenleben bedeutet, und wie es zu funktionieren hat, das möchte die evangelische Kirche, nicht anders als die katholische, bitte schön für ihre gehorsamen Schäfchen definieren. Sex ist da ein ganz heikles Thema.

Doch wir, die Bürger der weltlichen Realität, sind freie Individuen. Wir gestalten seit Jahrhunderten unser friedliches Zusammenleben. Besonders in den Städten wurden große Schritte der Zivilisation erfolgreich wider Willen der Kirchen vollzogen. Standesunterschiede sind verschwommen, vor dem Gesetz sind alle gleich und die Würde des Menschen gilt als unantastbar. Das alles haben sich freie Bürger selbst aufgebaut. Sie haben sich im Konflikt mit dem Adel und Klerus das Recht die Wahrung von Menschenrechten erkämpft. Als freie Menschen.

Diese Freiheit war und ist gefährdet, denn sie steht im Widerstreit mit der Angst. Mit der Angst vor dem Fremden, vor Krankheit, Untergang, Verderben und vor allem der Angst davor, nicht anerkannt zu sein. Die christlichen Kirchen haben sich diese Ängste zu Eigen gemacht und zum Zwecke der Kontrolle und Bevormundung genutzt. Das glückte bereits in der Spätantike, und selbst nach der Teilung in orthodoxe, protestantische, neuapostolische und andere konfessionelle Spielarten hat der Klerus sich mit allerlei Verfluchungen, Verteufelungen und Verfolgungen darum bemüht, Oberhand zu behalten. Aber nach und nach verloren die Glaubensbewahrer ihre Vormachtstellung. Denn freie Bürger haben sich gewehrt – gegen die Kirchen und jene, die sich ihrer Macht bedienten.

Nun im 21. Jahrhundert angelangt, nutzt ein smarter Kirchenmann die Chance und schenkt den Schwulen seine Aufmerksamkeit in Form von Anerkennung. Das Schwule Netzwerk NRW dankt es mit der Verleihung der Kompassnadel und vergisst, wofür es bei der Akzeptanz von LGBT*IQ eigentlich gehen muss. Nicht um Liebe, das ist ein Trugschluss, es geht vielmehr darum, frei entscheiden zu dürfen, wen man wie, wann und wo liebt oder nicht. Und vor allem ist Sex keine Sünde, Krankheit, Seuche und kein Verbrechen. Sex gehört nicht kanalisiert, gesegnet oder in Paragraphen geordnet. Sex macht man einfach.

Das Schwule Netzwerk NRW indes kritisiert die reduzierte Anerkennung von dauerhaften Partnerschaften nicht im Geringsten, es leistet der Scheinheiligkeit auch noch fromm Schützenhilfe. Die Hilfe der Schwulen haben die Kirchen auch wirklich nötig. Auch die evangelische Kirche verliert an Bedeutung, ihnen laufen die Mitglieder davon und am Bodensatz tritt in einer Art Hysterie des Überlebenskampfes die hässliche Fratze des Fundamentalismus mehr und mehr deutlich hervor. Aber der Aderlass der großen Kirchen ist selbst verschuldet und beileibe nicht das Problem des säkularen Bürgertums. Im Gegensatz zur Kirche weisen wir Bürger den Fundis nämlich ihre Grenzen auf und widersprechen laut und deutlich.

Das Schwule Netzwerk NRW hat aber nichts Besseres zu tun und verrät dieses bürgerliche Grundprinzip. Man mag hoffen, es geschähe aus Naivität heraus. Doch der Verrat vollzieht sich aus kühler Berechnung. Auch viele schwule Funktionäre glauben, es bedarf noch immer eines warmen Platzes an der Seite des Klerus, um die volle Anerkennung der Mehrheitsgesellschaft zu erlangen. Doch sie sind auf dem Holzweg.

Hätten Schwule, Lesben, Trans* und Bisexuelle auf die Mehrheit vertraut, stünden wir in der Tat nach wie vor am Rand der Gesellschaft. Veränderung zum Besseren für alle Bürger ging noch nie von der Mitte aus. Es ist stets der Mut von Einzelnen, der letztendlich den Mainstream auf den richtigen Kurs führt. Mit der Anpassung ans Falsche, der Bestätigung von konservativen Mustern, ist jedoch nichts zu gewinnen. Zum Leben gehört halt mehr als die Zweierkiste nach Gottes Worten. Soziale Interaktion auf sexueller Ebene ist auch jenseits der Ehe, Partnerschaft oder treuen Kameradschaft ein Gewinn an Lebensqualität und keine Verfehlung.

Gleichgeschlechtlicher Sex zwischen Singles ist nicht fragwürdig, sondern erstrebenswert. Das gilt auch für gemischtgeschlechtlichen Sexualverkehr unter Erwachsenen. Jeder Mensch hat das Recht, ohne Sanktionen befürchten zu müssen, seine Sex-Partner zu wählen oder auch zu wechseln, wie jeder es will. Und nicht nur Liebe zu Dritt ist eine schöne Sache. Auch das verantwortungsvolle Zusammenleben funktioniert im Haushalt mit und ohne Kinder sogar zu viert und zu fünft. Dürfen Wohngemeinschaften nicht ein Zusammenleben planen, um etwa die Erziehung der Kinder gemeinsam zu stemmen? Selbstverständlich ist das möglich und auch unterstützenswert. Doch die ach so toleranten Protestanten werben stattdessen gemeinsam mit organisierten Schwulen für eine Privilegierung des anachronistischen Ehe-Models als Allheilmittel der Familienplanung.

Dabei gehört die Zivil-Ehe endlich radikal reformiert. Eine Erweiterung des Kreises auf LGBT-Paare reicht nicht aus. Kinderrechte und die Lebensrealität von Bisexuellen werden bislang ignoriert. Ich wünschte mir eine Gesellschaft, in der die heterosexuelle Frau glücklich sein darf, die zusammen mit einem schwulen und einem bisexuellen Mann ihre Kinder groß ziehen möchte. Die Konstellation muss auch rechtlich geschützt sein, wenn sie mit einer Trans*-Person erweitert wird. Die Kombinationsmöglichkeiten sind ellenlang. Die Dünke des Kirchenpräsidenten hingegen reicht jedoch über den stockkonservativen Tellerrand in Regenbogenfarben nicht hinaus.

Das führt einmal mehr vor Augen, welche Sorte von Schwulenfreundlichkeit das Schwule Netzwerk NRW dem Kirchenfunktionär attestiert. Nicht Selbstbestimmung und Gleichberechtigung sind das Leitmotiv, sondern die Schwächung der solidarischen Gesellschaft, indem die Zweierbeziehungskiste auch in Zukunft als Keimzelle der Gesellschaft überhöht und staatlich subventioniert wird, während man andere Lebensentwürfe als gescheitert verunglimpft. Das ist rückwärtsgewandt und entspringt plumpem Konservatismus. Ich bin gespannt, wie der Pfaffe sich über den Wunsch nach legaler Leihmutterschaft der Homoehe-Fans äußern wird. Eigentlich ist es zum Schlapplachen – fast. Die Frage, wie man Widerstand gegen das schwule Establishment organisiert, das sich ohne Skrupel dem Klerus an den Hals wirft, stellt sich jedoch ernsthaft. Das mag historisch sogar ein Fortschritt sein. Vor allem brauchen wir aber eine Antwort auf die Frage, ob wir uns von LGBTIQ-Verbänden vertreten lassen möchten, die unsere Interessen verraten. Wir brauchen eine schwule, lesbische, bisexuelle, heterosexuelle, transidente, queere Opposition und neue Protestform gegen den Versuch der Bevormundung von Seiten reaktionärer Interessensgruppen. Die Grenzen verlaufen längst nicht mehr zwischen den Geschlechtern, sondern zwischen Ewiggestrigen und selbstbestimmten freien Bürgern.

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