Kultur
   9 Jahre
Foto: Incubus Verlag

Ein Chip schaltet die sexuelle Erregung an

Raik Thorstad hat sich im Laufe der Jahre einen Namen gemacht. Eine wahre Fanbase wartet immer gespannt, was der Fantasie des Bigender-Autoren denn nun wohl wieder entsprungen ist. Aus dieser Tastatur rieseln keine Geschichten einfach so leicht vor sich hin. Nur wenn eine Geschichte spannend, ein Charakter eckig und die Geschehnisse unvorhersehbar sind, dann wird Raik sie erzählen. Zumindest scheint es so, denn all das trifft auch auf dieses Buch wieder zu.

Utopie mit uralter Herrscherform

Wir schreiben das Jahr 3517. Die nuklearen Katastrophen haben die Erde, wie wir sie kennen, verändert. Ganze Länder und Kontinente sind unter Wassermassen verschwunden, Festland ist selten geworden in diesen Tagen. Aber nicht nur das Antlitz der Welt haben die Menschen mit ihren Kriegen und der unbeherrschbaren Technik verändert. Durch die massive Begrenzung von Lebensraum, Ressourcen und allem, was zu einem menschenwürdigen Leben dazu gehört, ist eine ganz alte Regierungsform wieder aufgelebt, die echte, tatsächliche Monarchie. Im Laufe der Geschichte haben sich Adelshäuser formiert, die nun als Herrscher die Geschicke der Welt lenken. Ähnlich dem Mittelalter herrschen sie immer nur über kleine Flecken oder Festungen. Aber ihre Technik ist moderner denn je.

Und genau da liegt eines der Probleme dieser Gesellschaft. Die modernste Technik ist teuer, braucht großen Aufwand. Den echten Nutzen davon haben nur die Herrscher und deren enge Vertraute und Mitarbeiter. Ob das Herrscherhaus der Merowinger wirklich und tatsächlich seine Wurzeln in dem geschichtsträchtigen Stammbaum hat, ist völlig egal. Sie leben ihren Herrschaftsanspruch aus und haben sich eine Festung aus Stahl und Technik mitten im Ozean erbaut. Hunderte von Meilen im Umkreis gibt es kein Land.

So leben die meisten Menschen in den unteren Bereichen der Feste. Dreckig, kräftezehrend und erniedrigend sind ihre Arbeiten und der Verschleiß an menschlichem Material ist hoch. Je höher man in der Feste kommt, desto luxuriöser wird sie. Ganz oben residiert die Herrscherfamilie. Regiert vom Tyrannen Takir erreichen die Herrscher aufgrund bester Medikamente Hunderte von Lebensjahren. Sein Sohn Ragnar ist das absolute Bild eines verzogenen und verwöhnten Prinzen. Zierlich, sportlich und immer auf der Suche nach dem Kick.

Ein erotisches Geschenk mit Folgen

Ganz anders Aiden, Arbeiter auf den Schiffen der Feste, ein prächtiger Kerl: muskulös, straff, ein Bild von einem Mann. Weil Aidens Vater die horrenden Ansprüche Takirs nicht erfüllen kann, fordert dieser Aiden als Tribut und verschenkt ihn als Lustdiener an seinen Sohn. Gerade noch in stinkender Schiffskluft, findet sich Aiden schnell auf der Krankenstation wieder. Er wird gecheckt und ihm wird der Chip eingepflanzt, der seine Gesundheit erhält und sein Leben verlängert. Aber dieser Chip hat eine Besonderheit, eine Fernsteuerung – und die bedient Ragnar. Auf Knopfdruck schaltet der Chip die sexuelle Erregung an, und Aiden bleibt keine Wahl, er will einfach nur noch Ragnar zu Diensten sein.

Aber Ragnar und Takir haben die Rechnung ohne den starken Willen Aidens gemacht. Der schafft es immer wieder, sich selbst treu zu bleiben und sich den Befehlen zu widersetzen. Das reizt Ragnar, der nun alles daran setzt, den Diener unabhängig von allen Standesunterschieden für sich zu gewinnen. Takir billigt dieses Verhalten jedoch gar nicht, denn sein Sohn soll einst herrschen, so wie er es will. Dazu passt kein Buhlen um den Prachthintern eines Dieners, der nicht weiß, wo sein Platz ist.

Schnell finden sich Ragnar und Aiden in Geschehnissen wieder, die sie beide das Leben kosten können. Unter der von Meer, Wind und Salz angefressenen Stahlhaut der Festung brodelt es. Eine Geheimorganisation formiert sich zum Widerstand und zum Schlag gegen die Herrscher. In einer überraschen Wendung finden sich Ragnar und Aiden plötzlich gleichgestellt wieder. Eine Herausforderung, aber auch eine Chance für alles, was sich zwischen den beiden entwickelt hat und entwickeln kann.

Worte, die eine Choreografie für die Geschichte schaffen

Mit geschärfter Tastatur und geschliffener Sprache führt Thorstad den Leser in diese utopisch schreckliche Welt. Schnell wachsen einem Aiden und Ragnar in ihren gegensätzlichen Eigenschaften ans Herz. Das welpenhafte Buhlen des Herrschersohnes um die Aufmerksamkeit des gestandenen Mannes lässt den Leser manchmal liebevoll nachdenklich, manchmal genervt innehalten. Die Zweifel des gefestigten Mannes, ob ihn nun die eigenen Sehnsüchte oder doch der schnelle Knopfdruck in das Bett des Prinzen treiben, bieten dazu nur eine unangenehme, aber nachvollziehbare Ablenkung. Von der ersten Begegnung seiner Protagonisten an scheint es, als wenn diese – einem Tanz gleich – einer unsichtbaren Choreografie folgen. So schlittern beide von einer Katastrophe in die nächste, nur um sich wieder aufzurappeln und um ihre nächste Chance zu kämpfen.

Thorstads Stärke, einer vielschichtigen Beziehung auch viel Raum zu widmen, tritt auch in diesem Werk zutage. Dabei bedient er sich natürlich einiger Klischees, die jedoch an unbekannter oder unerwarteter Stelle auftreten, so dass auch hier keine Langeweile aufkommt. Ein weiteres Buch mit Suchtfaktor, das man erst ausgelesen wirklich beruhigt aus den Händen legt. Mehr davon!

Raik Thorstad: 3517 Anno Domini – Wir waren Götter, Incubus Verlag, 584 Seiten, ISBN der Druckausgabe: 978-3-9455690-0-9, Preis Taschenbuch: 14,95€, Preis Ebook: 8,99€

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