Kultur
   11 Jahre
Foto: dtv/ Laurent Mauger

Eine schwule Liebe unter echten Heten

„Der Verrat des Thomas Spencer“ ist ein schwules Buch – oder auch nicht. Thomas und Paul, beide am gleichen Tag, nämlich dem 6. August 1945 geboren, wachsen in Natchez, Mississippi auf, einem Kaff 90 Meilen nördlich von Baton Rouge. Thomas ist Sohn einer alleinerziehenden Mutter, Paul der Sohn der Kaufmannsfamilie von nebenan. Trotzdem bezeichnet Thomas sich und Paul als Zwillinge.

Dieser Thomas erzählt seine Geschichte am 8. August 1974. Vor zwei Tagen ist er 29 geworden. Er erzählt von seinem unbeschwerten Aufwachsen in den heißen und schwülen Sommern der Südstaaten der USA in den 1950er Jahren. Paul und er verbringen so viel Zeit miteinander, wie es nur geht. Sie liegen am Fluss, lassen sich treiben, schlagen einfach Zeit tot und genießen die Sorglosigkeit der Jugend. Als sie älter werden, fangen sie an, im Laden von Pauls Eltern auszuhelfen. Paul als künftiger Erbe, Thomas als bezahlte Hilfskraft.

Er schildert auch die ersten Erlebnisse mit dem anderen Geschlecht, das Probieren und das Ausloten, ist es richtig so oder auch nicht. So erlebt man das Erwachsenwerden und das Entdecken von Körperlichkeit, allein, mit Frauen, miteinander, naja irgendwie. Das Erscheinen von Claire, ihr Weggang und ihre Rückkehr… Claire wird die Frau an Pauls Seite. Trotz dieser Heten-Erzählung ist es ein schwules Buch, aber eben fast nur platonisch. Was zwischen Paul und Thomas passiert, das verdient die Worte Liebe und Beziehung.

Philippe Besson ist in der Community als Autor sehr beliebt. Und das aus gutem Grund. Was dieser Mann in Sprache fasst, ist so unglaublich gelungen, das geht irgendwie auf keine Kuhhaut. Carolin Vollmann hat das auch diesmal ins Deutsche übersetzt und dabei eine große Aufgabe geschultert, nämlich den französischen Sprachfluss zu bewahren und für deutsche Augen passend zu halten.

Die dabei entstehenden Bilder sind komplex und für den Leser sehr angenehm. Sie schweben immer schwer und getrübt von der Südstaatenhitze vor dem inneren Auge, selbst wenn er vom Winter erzählt. Nicht lesen geht fast gar nicht, das Verlangen, dieses Buch zur Hand zu nehmen, könnte man fast als Sucht beschreiben.

Die freiwillige Meldung von Paul nach Vietnam, obwohl sein großer Bruder bereits in einem Krieg gefallen ist, durchbricht dieses Diffuse. Paul hat mit dieser Entscheidung eine Kette in Gang gesetzt, die sich fast zwingend über Enttäuschung zu dem im Titel genannten Verrat von Thomas entwickelt und ihn selbst schlussendlich zu seinem letzten drastischen Schritt treibt. Der große Knall lässt alle, einschließlich des Lesers, betäubt zurück.

Die 14,90 Euro für 220 Taschenbuchseiten sind keinesfalls billig, aber manchmal muss es eben Luxus sein! Ein faszinierendes Buch, das eine schwule Liebe unter echten Heten beschreibt und die das schwule Auge gerade wegen seiner Feinheit in der Beobachtung und der liebevollen Beschreibung lesen MUSS!

Philippe Besson, Der Verrat des Thomas Spencer, edition manholt im dtv, dtv premium, aus dem Französischen von Caroline Vollmann, Deutsche Erstausgabe, 220 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-423-24950-8
 

 
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