Kultur
   8 Jahre
Foto: Buchcover "Wir Propagandisten"

"Wir Propagandisten" - eine Buchrezension

„Eigentlich“ ist kein schönes Wort, weil es dokumentiert, dass etwas ganz anders gelaufen ist, als es sollte. Eigentlich schreibt man eine Rezension nicht mit „ich“ und diese hier hätte eigentlich bereits zur Neuerscheinung des Buches sein sollen. Und uneigentlich ist es dann hier eben anders. 

Erstlingsromane können gut sein, sie können schlecht sein, sie können einen abstoßen, faszinieren, fesseln oder langweilen. „Wir Propagandisten“ von Gabriel Wolkenfeld aus dem Männerschwarm-Verlag hatte von fast allem etwas, nur keine Langeweile und eben noch etwas: dieses Buch löst etwas in seinem Leser aus, was diesen nicht mehr loslässt. Nur aus diesem Grund kommt dieser Text über ein dreiviertel Jahr nach der Veröffentlichung dieses Buches. Ich wollte, musste, konnte nicht anders, als gründlich über dieses Buch nachzudenken, bevor ich wirklich wusste, ja darüber muss ich geradezu schreiben. 

Auf nach Russland:

Ein junger Slawistiker macht sich auf. In Jekaterinburg hat er an der Universität einen Job bekommen, er kann dort Deutschkurse leiten. Wohnung, Transport und Jobantritt, alles ist von Deutschland aus geregelt. So findet sich der Protagonist mitten in der Nacht in einer fremden Wohnung wieder, seine WG Heimat für das nächste Jahr. Mit einem russischen Bier prostet sich der österreichische Mitbewohner direkt in das Leben des angehenden Dozenten. 

Über die sozialen Netzwerke hat er sich mit einigen jungen Männern aus der Gegend angefreundet und gleich mehrere bilden das Empfangskomitee am Flughafen. Goscha, Schurik und Mitja. Letzterer ähnelt dem Ministerpräsidenten Medwedew und das macht wohl ein wenig seiner Anziehungskraft aus. Aber diese drei sind mehr als nur Kontakte. Sie werden das Tor und der Schlüssel zur schwulen Seite Jekaterinburgs sein. 

Aber vor das Vergnügen hat die Welt ja bekanntlich die Arbeit gesetzt. In der Uni will sich vorgestellt werden, Gesundheitschecks müssen absolviert werden und der teils irrigen Verwaltunsghierarchie des gelebten Sozialismus Rechnung getragen werden. So begibt sich der junge Kursleiter in die Höhlen der Löwinnen und Löwen. Skurril anmutende und das Klischee übererfüllende Charaktere geben sich die Buchseiten in die Hand, mit stolzen Universitätscharakteren, die wissen, dass sie sich auf ihre Bildung und das Erreichte einiges einbilden können. 

Thematische Party und mehr

Geradezu spärlich sind die Szenen eingesät, die in der russischen Szene spielen. Was auch daran liegen könnte, dass diese an sich schon recht dünn ist. Aber man muss halt auch Acht geben, ob man sich auf einer „thematischen“ Feier befindet, wo ein Mann durchaus mal einen Mann küssen darf, oder ob man sich doch deutlich zurückhalten sollte. 

Untermalt wird das Ganze von der schweren Musik der russischen Gastfreundschaft und Lebensweise. Stets wird exorbitant aufgefahren und man muss sich ja auch rausputzen. Da wirkt die WG des Deutschen direkt anziehend und angenehm entspannt. 

Und plötzlich findet sich der junge Universitätsmitarbeiter in einer Gesellschaft im Wandel wieder. Das Gesetz zur Unterbindung von Homopropaganda wird auf den Weg gebracht. Was das in den Betroffenen und deren Umfeld auslöst, wie Lebensbahnen dadurch ins Wanken kommen können oder sich komplett ändern, davon handelt dieser autobiografisch angehauchte Roman. 

OMG

Eines vorweg: Der Schreibstil des Herrn Wolkenfeld ist unmöglich. Beschreibungen, direkte Rede, indirekte Rede, Ortswechsel oder auch komplette Themenwechsel alles läuft in einem durch. Zum Glück gab es noch einige Satzzeichen und Absätze. So kann man zumindest von einem rudimentären Maß an Gliederung reden. Das an sich macht das Lesen zu keinem Vergnügen, fordert den Leser aber auch heraus. Und genau das scheint der Kasus Knacktus dieses Buches zu sein. Nur wer sich als Leser dem stellt, der darf an dieser unbekannten Welt teilhaben. So versteckt, wie in Russland die Szene stattfindet, so versteckt hat der Autor auch diesen Part in die Geschichte gewoben. Das verhilft aber zu dem wunderbaren Effekt, dass man als Leser die Entwicklungen um die Protagonisten herum eben nicht erahnt. So ist der Erlass des Gesetzes gegen die Homopropaganda ein Schock und plötzlich findet man sich in dem Strudel der Geschichte wieder, den das alles ausgelöst hat. 

Mit dem Schließen des Buches ist die Geschichte dann aber nicht vorbei. Wissend, dass das Buch auf wahren Ereignissen basiert, wird man einige vermissen. Bei anderen ist man froh, dass man sie nicht mehr sieht. Was man aber nicht mehr loswird, ist das Aufhorchen, wann immer eine weitere Nachricht aus der Welt kommt, wo wieder etwas mit Homosexuellen oder anderen aus der LGBTI Familie geschehen ist. Diese Berührung tief in meinem Inneren musste ich verarbeiten und kennenlernen. Nun kann ich sagen: Danke Herr Wolkenfeld, dass Sie mir die Augen und das Herz für diese Geschehnisse in unserer Welt weiter geöffnet haben, als ich je gedacht hätte. 

 
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