Gesellschaft
   13 Jahre
Foto: Alakbaroff

Keine Küsse auf der Straße

Zwei Wochen lang hatte der 22-Jährige alle Interviews und Pressekonferenzen beim Eurovision Song Contest in Düsseldorf souverän in fünf Sprachen absolviert, darunter auch in einer charmanten Version von Deutsch. Doch ausgerechnet auf der Pressekonferenz zum gemeinsamen Sieg mit Duett-Partnerin Nikki Jamal geriet Eldar Qasimov gehörig ins Schlingern. Ob man denn als schwuler Fan in Baku willkommen sei, wollte ein Journalist wissen. Man wolle zeigen, dass man zu Europa gehöre, dass man offen sei, antwortete Eldar. "Lasst uns sehen, was 2012 passiert!"

Das muslimisch geprägte und zwischen Kaspischem Meer und Kaukasus gelegene Aserbeidschan lebt vor allem vom Ölexport und wird quasi diktatorisch regiert. Um die Meinungsfreiheit steht es im Neun-Millionen-Einwohner-Staat nicht zum Besten, Regimekritiker landen regelmäßig im Gefängnis. Nur rudimentäre Informationen lassen sich zur Lage von Schwulen und Lesben im Land auftreiben. Torsten Bless begab sich auf die Recherchetour in den Blauen Seiten. Fuad (22), Vugar (27), Timur (33), Kamran (34) – Namen allesamt geändert – und Tural (24) erzählten per Email und Chat von ihrem Leben in der über zwei Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt.

Wie umschreibst du das gesellschaftliche Klima in Baku?

Tural: Baku ist eine der moderneren Städte in Aserbaidschan, die Menschen hier sind freundlich und aufgeschlossen, zumindest die, die hier geboren sind.

Fuad: Baku ist die Stadt des Windes, der Sünden, der Infamie und die Hauptstadt einer absoluten Monarchie. Die Meinungsfreiheit wird hier erdrosselt. Der Staat präsentiert sich der Welt gerne als demokratisch und entwickelt, aber die Realität sieht anders aus. Vielleicht ist Aserbaidschan das Land in Europa, in dem die Menschenrechte und die Rechte von Lesben und Schwulen am wenigsten geschützt sind.

Kann man so etwas wie ein offen schwul leben?

Fuad: Machst du Witze? Aserbaidschan und ein offen schwules Leben – das schließt sich aus. Die Polizei stürmt Orte, an denen sich Schwule und Lesben treffen und erpresst dann Schweigegeld. Anderenfalls werden Eltern und Familie informiert. Für die Gesellschaft sind Schwule und Lesben schlimmer als Mörder oder Verrückte, und der Staat befördert diese Stimmung auch noch. Viele denken an Selbstmord oder daran, aus dem Land zu fliehen. Aserbaidschan ist nur wenig besser als der Iran, was die Lage von Schwulen und Lesben betrifft.

Timur: Gerade mal zwei, drei Sänger und Entertainer können so etwas wie offen schwul genannt werden. Vielleicht haben andere Leute ihren Freunden und Verwandten gesagt, dass sie schwul oder lesbisch sind. Zum Beispiel habe ich das getan. Aber auch nach so einem Coming-out kannst du nicht offen leben.

Vugar: Ich finde, die Atmosphäre hier in Baku ist sehr gut. Hier gibt's eine Menge Schwule. Nur lebt jeder sein schwules Leben im Verborgenen. Viele finden ihren Sex-Partner oder Freund im Internet, das ist sehr leicht.

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