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   9 Jahre
Foto: Tonkie © commons.wikimedia (CC BY-SA 3.0)

Festival - zwischen Spaß und Anarchie

Im März ist es wieder so weit – Europas größtes Gay Wintersport- und Musikfestival, der European Snow Pride, findet vom 21. bis zum 28. März statt. Austragungsort ist wie im letzten Jahr die französische Gemeinde Tignes. Das Espace Killy bietet nicht nur schneesichere Pisten und ein großzügiges Skigebiet, sondern hat 2013 auch öffentlich die gleichgeschlechtliche Ehe in Frankreich unterstützt, indem es dem ersten verheirateten Paar anbot, ihre Flitterwochen dort zu verbringen. Im gleichen Jahr unterschrieb Tignes auch eine Konvention gegen Homophobie im Sport, entsprechend gilt der Austragungsort als sehr schwulenfreundlich.

Beim European Snow Pride finden auf eine Woche verteilt die unterschiedlichsten Events statt und lassen so Raum für verschiedenste Interessen und individuelle Gestaltungsmöglichkeiten. Neben Ski- und Snowboardgruppen wird auch ein Wildnis-Camp in einer Jurte angeboten mit Barbecue und Schlittenfahrt, eine große Pool-Party, DJ-Partys und Après-Ski-Veranstaltungen.

Auch Wintersport-Anfänger sind hier gern gesehen und für Festival-Teilnehmer werden separate Ski- und Snowboardschulen angeboten. Erfahrene Wintersportler können sich auch unabhängig bewegen, allerdings werden die Kenntnisse aus Sicherheitsgründen vorher überprüft. Die Teilnehmer selbst sind dazu angehalten, ihre Ausrüstung – soweit vorhanden – vorher zu prüfen und entsprechend der Bedingungen im Espace Killy auszuwählen. Gerade bei Snowboards ist es wichtig, das passende Board für Umgebung mit viel Tiefschnee zu benutzen. Für Unerfahrene bietet Sportscheck einen Online-Berater für Snowboards, in dem die Umgebung, die eigene Erfahrung und das Gewicht für die Empfehlung berücksichtigt werden.

Die Veranstaltungswoche startet mit einem aufwändigen Welcome Cocktail und Buffet zum Kennenlernen und zum Wiedersehen. Für die jeweiligen Events muss im Vorfeld ein Pass erworben werden, mit dem der Zugang zu den entsprechenden Locations gewährt wird. Erfahrungsberichte loben die tolle Stimmung und die gute Organisation. Wer einmal dort war, kommt gerne wieder.

Aber was ist eigentlich der Reiz an so großen Events?

Von der Location her lassen sich der European Snow Pride oder die Arosa Gay Ski Week natürlich nur bedingt mit Veranstaltungen wie Rock am Ring oder Wacken vergleichen. Anstelle von engen Zelten auf einer matschigen Wiese wird hier in schönen Hotels übernachtet und da neben der Musik natürlich besonders der Sport im Vordergrund steht, gibt es keine ausschweifenden Alkoholexzesse auf den Pisten, denn was bei Rock am Ring mit peinlichen Fotos endet, wenn jemand im Schlamm einschläft, ist in einem Wintersportgebiet lebensgefährlich.

Dennoch haben der European Snow Pride und Rock am Ring einiges gemeinsam, denn sie bieten Besuchern ein sehr ähnliches Gefühl.

Ausgelassene Stimmung

Festivals sind völlig losgelöst vom Alltag. Menschen nehmen oft weite Strecken auf sich, planen ihren Urlaub Monate im Voraus und haben die Karten für die Veranstaltung schon früh bestellt. Der Spaß steht im Vordergrund und die lockere Atmosphäre trägt dazu bei, dass Menschen sich spontan näher kommen. Festivalgänger gleich welcher Richtung schwärmen von dem anhaltenden Hochgefühl und der ausgelassenen Stimmung, die auf Festivals herrscht. Hier kann vom Alltag abgeschaltet werden und niemandem muss etwas bewiesen werden. Es ist ein Ausbruch aus bekannten Strukturen und Konventionen.

Gemeinschaftsgefühl

Ganz wichtig ist auch das Gefühl, Teil eines Kollektivs zu sein. Auf Festivals treffen immer Menschen zusammen, die mindestens das Interesse am Event an sich, sei es die Musik, die politische Aussage oder das Skifahren, teilen. Sie finden sich unter Gleichgesinnten wieder und haben immer mindestens einen Anknüpfungspunkt für Gespräche beim Kennenlernen. Die Teilnehmer können sich ausleben und das mit dem kleinstmöglichen Maß an Verpflichtungen. Über das gemeinsame Spaß-Haben fühlen sich Menschen verbunden, bestätigt auch Soziologe Ronald Hitzler in diesem Beitrag. Wo die Hemmungen fallen, steigt auch die Toleranz. Im Gegensatz zu vielen Sportevents steht hier auch kein Rivalitätsgedanke im Raum, der Menschen gegeneinander aufbringen könnte. Miteinander Spaß zu haben und Raum füreinander zu lassen steht im Mittelpunkt.

Auf den allermeisten Musikfestivals herrscht außerdem eine sehr respektvolle Atmosphäre und spätestens seit dem Unglück auf der Loveparade 2010, bei dem mehrere Menschen in einer Massenpanik zu Tode kamen, ist der Blick auf die Sicherheitsaspekte solcher Veranstaltungen noch verstärkt worden. Entsprechend entspannt verlaufen solche Großevents trotz aller Widrigkeiten. Das Woodstock-Festival von 1970 ist noch heute legendär dafür, dass alles schief ging, was nur schief gehen konnte. Es kamen deutlich mehr Menschen als erwartet, Lebensmittel gingen aus und sanitäre Anlagen gab es auch viel zu wenige. Dennoch verlief das ganze Festival völlig friedlich und wurde deshalb später der Friedensbewegung gewidmet.

Vorurteile und Gefahren

Festivals haben oft den Ruf des zügellosen Exzesses. Gerade Menschen, die niemals auf Festivals gehen, betrachten solche Veranstaltungen als Störfaktor. Laute Musik, große Menschenmengen und damit einhergehender Müll. Oft werden Gewalt und Vandalismus gefürchtet. Tatsächlich berichten die Medien vorwiegend positiv über Festivals. Zu Verletzten oder gar Todesopfern kommt es nur selten und meist sind solche Fälle unfallbedingt wie beim Wacken Open Air 2013, als ein 52-Jähriger in seinem Zelt tot aufgefunden wurde, ohne Hinweise auf Gewalt und Drogen- oder Alkoholmissbrauch, wie die Süddeutsche berichtete.

Häufig meldet die Polizei Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und stellt Rauschmittel sicher, und auch die Mengen an Müll sind nicht von der Hand zu weisen. Nichtsdestotrotz ist die Bilanz positiv und durch die immer größer werdende Zahl an Festivals ist die Akzeptanz auch unter den Anwohnern der Austragungsorte gestiegen.

Positiver Effekt nicht nur für die Besucher

Wer ein Festival besucht hat, kann noch lange davon zehren. Die Auszeit aus dem Alltag sorgt dafür, dass anschließend mit neuer Energie an alte Aufgaben gegangen werden kann, und viele Festivalbesucher erzählen noch Jahre später gern von ihren Erlebnissen, von Menschen, die sie kennen gelernt und was sie gesehen haben.

Doch auch die Wirtschaft profitiert von derartigen Veranstaltungen. Vor 1970 waren Festivals im europäischen Raum weitgehend unbekannt. Erst seit Woodstock mehrten sich auch hierzulande solche Veranstaltungen und der Trend fand seinen Weg aus den USA hierher. Inzwischen steht gerade der Sommer im Zeichen der Festivals und lockt mit unterschiedlichsten Musik-Events in alle Ecken Deutschlands. Doch auch Wintersport-Events wie Gay Ski Weeks erfreuen sich immer größerer Beliebtheit.

Für viele Gemeinden ist diese Event-Kultur ein Wirtschaftsmotor geworden. Die kleine Ortschaft Wacken beispielsweise konnte durch das jährlich stattfindende Wacken Open Air ihre Einnahmen in Lebensmittelgeschäften und im Einzelhandel deutlich steigern. Viele Privatpersonen bieten inzwischen Unterkünfte für angereiste Festivalbesucher an. Da auch diese Veranstaltung zwar laut, aber völlig friedlich verläuft, freuen sich die meisten Dorfbewohner sogar auf die jährlichen Gäste, wie die WAZ berichtet.

Alles in allem sind Festivals nicht nur ein Faktor für die Wirtschaft, sondern für viele Menschen eine gute Gelegenheit, vom Alltag abzuschalten, neue Menschen kennen zu lernen und für ein paar Tage lang sich nur unter Gleichgesinnten zu bewegen und Spaß zu haben. Da kann etwas Müll und die kurzzeitige Lärmbelästigung ruhig in Kauf genommen werden.

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