Gesellschaft
   14 Jahre
Foto: Erwin In het Panhuis / Aufklärung und Aufregung: 50 Jahre Schwule und Lesben in der BRAVO

Dr. Martin Goldstein (alias Dr. Sommer)

Ihre Erklärung zum Analverkehr im Liebeslexikon 1981/1982 ist mehr tabuisierend als erklärend. Das ist doch sehr untypisch für Sie?

Die genauen Hintergründe zu diesem Text, der unter meinem Pseudonym Dr. Korff erschien, weiß ich nicht mehr. Ich kann Ihnen aber die Hintergründe zu einem anderen Lexikon darlegen, das die Probleme von einem solchen Text deutlich macht.
1973 erschien als Bravo-Ableger ein eigenes Poster-Heft, für das ich ein Erotisches Lexikon verfasst hatte - unter meinem dritten Pseudonym Dr. Heinz Hoffmann. Zum Thema Analverkehr hatte ich dort ursprünglich geschrieben, dass jede Körperöffnung erotisch, erregbar und lustbringend ist. Und das mit Analverkehr auch was erreicht werden kann, was man üblicherweise gar nicht erwartet. Und dann wurde mein sorgfältig erarbeiteter und so scheu wie möglich formulierter Text nicht abgedruckt, nur weil er von Lust und erotischen Gefühlen handelte. Und im abgedruckten Text stand dann so gut wie gar nichts mehr, und in der Überschrift - die nicht von mir kam - stand dann so was wie: Wie unanständig ist ein Po? Dieser redaktionelle Eingriff war und blieb einmalig. Diese Auseinandersetzung hatte aber nichts mit schwul, sondern nur mit der Körperöffnung als solcher zu tun. Viele halten Analverkehr für schmutzig, aber das ist ein Rest aus der Sauberkeitserziehung! Manche kriegen doch sogar einen Orgasmus, wenn man ihnen in den Ohren grabbelt. Ich halte es da persönlich mit Thomas von Aquin, den ich gerade studiere: Wir müssen unseren Körper mit der gleichen Liebe lieben, mit der wir Gott lieben. Und von der Liebe zum Körper sollten dann auch keine Einzelteile ausgenommen werden.

Konnten Sie sich eigentlich mit der gesamten Bravo identifizieren?

Nein. Ich konnte mich ja noch nicht einmal mit allen Teilen der Beiträge identifizieren, die unter Dr. Sommer und Dr. Korff erschienen. Einfach weil ich auf die Bilder und selbst auf die Überschriften keinen Einfluss hatte. Die Bilder - z. B. im Liebeslexikon - sind ja auch leider alles sehr künstliche Agenturfotos. Und bei der Darstellung ist meistens die Frau nackt und der Mann angezogen. Meine Texte waren das Einzige, mit dem ich mich wirklich identifizieren konnte, und das Einzige, was mir auch sicher war. Ich habe auch nie eine Bravo von vorne bis hinten gelesen. Das war nicht mein Metier, das war mir vollkommen fremd. Und ich musste es auch aushalten, dass es neben Dr. Sommer und Dr. Korff noch andere Formen der Sexualaufklärung in Bravo gab. Es gab z. B. eine Rubrik, wo Jugendliche einfach ohne Anonymisierung vorgestellt wurden, die ich gut fand. Aber insbesondere die Foto-Love-Story hat mich immer gestört, weil sie Arten von Beziehungen zeigte, mit der ich nicht einverstanden sein konnte. Und ab 1983 fing die Redaktion sogar an, unter Dr. Sommer eigene Beiträge zu veröffentlichen. Und das, obwohl ich mir den Namen Dr. Sommer hatte schützen lassen.

Und dann sind Sie für Ihr Urheberrecht vor Gericht gezogen?

Ja, und hätte ich nicht meine Mitarbeiter gehabt, hätte ich das gar nicht durchgehalten. In erster Instanz habe ich dann auch Recht bekommen. Und dann ist der Bauer-Verlag in Revision gegangen. Und ich hätte 60.000 DM hinterlegen müssen, damit ich im Falle des Verlierens den Prozess hätte bezahlen können. Aus Verzweiflung habe ich meinen alten Chefredakteur aufgesucht und er hat dann einen Vergleich erreicht. Ich hätte nicht das Geld und nicht die Kraft für einen zweiten Prozess gehabt. Auch so hat mich das schon finanziell an den Rand des Ruins gebracht. Sogar heute noch erscheinen viele Beiträge nur unter Dr. Sommer, obwohl ich schon längst bei Bravo ausgeschieden bin und das unzulässig ist.

Auch mit der Zeitschrift 'ran gab es einen Rechtsstreit um ihre Person?

Die DGB-Jugendzeitschrift 'ran war wütend auf Bravo. Die hatten rausbekommen, dass die Rohfassungen der Dr.-Korff-Texte im Team von unterschiedlichen Leuten beigesteuert wurden, welche allein ich später autorisierte. Darunter war auch eine Hausfrau, die wirklich gute Arbeit leistete, aber halt keine entsprechende Vorbildung hatte. ´ran brachte dann einen entsprechenden Cartoon, wo eine Putzfrau Dr.-Korff-Artikel schrieb, und setzte damit also einfach Hausfrau und Putzfrau gleich. ´ran hat dann Bravo verklagt, damit die nicht mehr schreiben sollten, dass Dr. Korff ein Fachmann wäre. In diesem Prozess war ich als Zeuge geladen und wurde ausführlich nach meinen Qualifikationen befragt. Dadurch hat dann ´ran diesen Prozess verloren und der Mitarbeiter, der bei ´ran diesen Prozess angeleiert hatte, wurde von seinem Posten enthoben.

Sie wurden in der homophoben Adenauer-Ära sozialisiert. Was macht einen so stark, dass man auch gegen die gesellschaftliche Meinung schwimmen kann?

Ich weiß nicht, wie ich das beantworten kann. Vielleicht so: Die Verfolgungszeit unter den Nazis mit KZ und Deportation waren sehr prägend für mich. Und in der Nachkriegszeit war dann für mich alles Befreiung: Befreiungstheologie, Befreiung von Ideologie, Befreiung von Vorurteilen bis zur Befreiung von dem Zwang zu Weihnachtsgeschenken.

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