Kultur
   13 Jahre
Foto: Jim Rakete

"Hundert Prozent hetero ist niemand"

Drei-Regisseur Tom Tykwer im Interview über seinen neuen Film "Drei" und Schwule im Kino.

Tom, bei der Uraufführung haben einige männliche Zuschauer den Saal während der schwulen Sexszenen verlassen.

Das ist richtig. Die schwule Komponente in dem Film scheint eine bestimmte Zielgruppe sehr zu verunsichern. Ich habe da auch eine Theorie dazu.

Und die wäre?

Ich glaube, dass schwuler Sex oder schwule Liebe im Kino zwar recht etabliert, in den meisten Fällen aber - Ausnahmen bestätigen die Regel - eher in einem exotischen Kontext untergebracht sind. Wenn man zum Beispiel Pedro Almodóvars Filme nimmt: Da sind das doch eher schräge Vögel. Der heterosexuelle Kinozuschauer kann sich vor diesen Figuren ohne Anstrengung auf eine gesunde Distanz bringen.

Was ist in "Drei" anders?

Sebastians Schippers Figur Simon ist äußerst diesseitig und sehr nah an jenen Leuten, die den Film dann für sich vielleicht anstrengend finden: eben nicht besonders exotisch, sondern ein eher normaler, sympathischer linksbürgerlicher Typ. Wir haben ein recht klares Bild von ihm, da ahnt man keine großen Überraschungen. Doch dann fügt er plötzlich seiner sexuellen Orientierung eine wesentliche Ergänzung hinzu. Für ihn ist das Ganze auch deshalb so verwirrend, weil es nicht zugleich ein Abschied von seinen bisherigen Neigungen bedeutet, sondern eine Öffnung seines Horizonts. Das wird im Film ganz konsequent gezeigt und trotzdem bleibt er der scheinbar so vertraute Typ. Damit kamen einige Heteromänner im Kino nicht klar und fühlten sich dem offensichtlich distanzlos ausgeliefert.

Was sagt dies über unsere Gesellschaft aus?

Die Tatsache, dass es letztlich keine eindeutig festgelegten sexuellen Wesen gibt und kein Mensch hundertprozentig hetero oder schwul ist, ist ja inzwischen konsensfähig. Wenn's dann aber an den eigenen Kragen geht, dann wollen wir doch lieber zu der Ausnahme gehören, die damit nichts zu tun hat. Das kenne ich genauso auch von Schwulen oder Lesben. Aus dem Bedürfnis heraus, eine klare Kategorie für sich gefunden zu haben, verweigern sie sich dann geradezu einer heterosexuellen Dimension.

Woran liegt es, dass sich selbst vermeintlich aufgeklärte Menschen schwer tun, alternative Lebens- und Liebesmodelle zu akzeptieren?

Wenn's ans Eingemachte geht, ziehen wir uns gerne in die bürgerlichen Gefilde und die uns anerzogenen Denk- und Lebensweisen zurück, gerade was die Lebensgestaltung betrifft. Das betrifft Heteros wie Homos gleichermaßen. Die Sehnsucht nach Anerkennung durch die Gesellschaft und der Druck unserer Sozialisation ist einfach größer als wir es uns manchmal zugestehen wollen. Den konventionellen Prägungen sind wir noch lange nicht entwachsen. Diesem Stress sind Homosexuelle allerdings wesentlich früher in ihrer Biografie ausgeliefert, während Heterosexuelle das noch eine Weile länger vor sich herschieben können.

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